András Lempel
Zu den literaturgeschichtlichen und ästhetischen Arbeiten von Georg Lukács in der DDR
Im Mittelpunkt des Promotionsprojektes stehen die literaturgeschichtlichen und ästhetischen Schriften aus der mittleren Schaffensperiode (1930-1956) des marxistischen Philosophen Georg Lukács und die Rolle dieser Arbeiten im kulturellen und politischen Leben der SBZ/DDR.
Georg Lukács ist einer der einflussreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Obwohl seine frühen ästhetischen Arbeiten (Die Theorie des Romans) wie auch seine Beiträge zur politischen Philosophie (Geschichte und Klassenbewusstsein) bis heute rege erforscht werden, sind seine ästhetischen und kulturpolitischen Schriften aus seiner mittleren Schaffensperiode in der Forschung bisher kaum behandelt worden. Der Grund dafür liegt in der starken politischen Diffamierung dieser Arbeiten als stalinistische Propaganda, die seit den 1950er Jahren die westlichen Rezeptionsgeschichte bestimmte. Obwohl die anekdotischen Anfeindungen seiner Person von Seiten der historisch-biografischen Forschung seit Längerem widerlegt sind, steht eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Lukács eigentlicher Produktion im Bereich der Ästhetik und der Literaturwissenschaft aus dieser Periode immer noch aus.
Anliegen des Projektes ist es aus diesem Grund, auf einer umfangreichen philologischen Grundlage die etablierten Klischees über Lukács kritisch zu hinterfragen und damit zu einer sachgerechten Beurteilung seiner theoretischen Leistungen wie auch seiner kulturpolitischen Wirkung beizutragen. Den Korpus der Arbeit bilden sämtliche Veröffentlichungen von Lukács in der SBZ/DDR vor 1956. Lukács´ enge Beziehung zur kulturpolitischen Leitung der DDR und zum Aufbau-Verlag, die massenhafte Verbreitung und die rege Diskussion seiner Schriften machen die vollständige Rekonstruktion der theoretischen Entwicklung in seiner mittleren Schaffensperiode auf dieser textuellen Grundlage möglich.
Neben diesem starken philologischen Schwerpunkt sind die folgenden Problemstellungen für das Projekt von besonderer Bedeutung:
1. Ziel ist es, die These des angenommenen „Bruchs“ im Lebenswerk von Lukács nach seiner Hinwendung zum Marxismus zu widerlegen und die Kontinuität mit dem Frühwerk darzustellen.
2. Ebenso soll die These widerlegt werden, dass die Hinwendung von Lukács zu ästhetischen Problemen nach seiner erzwungenen Selbstkritik am Anfang der 1930er mit einer Kapitulation vor politischer Gewalt gleichzusetzen ist. Stattdessen kann gezeigt werden, dass Lukács die Ästhetik als eine schöpferische Quelle für die marxistische Theoriebildung betrachtet und als Medium seiner politischen Arbeit verwendet hat.
3. Ebenso will das Projekt den Mythos über den Klassizismus von Lukács in ästhetischen Fragen ausräumen und belegen, dass Lukács, trotz seiner kritischen Positionen, durchaus als ein Theoretiker der Moderne zu charakterisieren ist.
4. Ebenso gilt es, der gängigen Praxis entgegenzuwirken, die die Theorien von Lukács mit der offiziellen Literaturpolitik der DDR pauschal gleichstellt. Stattdessen soll durch die Rekonstruktion der konkreten theoretischen Positionen sowie der Editions- und Publikationsstrategien von Lukács seine eigentliche Rolle im kulturellen und politischen Leben der DDR sachgerecht dargestellt werden.
5. Im Gegensatz zu den meisten Interpretationen werden dabei die einzelnen Studien nicht als miteinander unbedingt harmonisierende „Auszüge“ aus einem fertigen, lückenlosen und geschlossenen ästhetischen Theoriegebäude analysiert: Die Arbeit wird stattdessen die dynamische Entwicklung der Theorien von Lukács und den fragmentarischen Charakter der einzelnen Texte ausarbeiten.