Jun.-Prof. Dr. Martin Endres
Poetiken des Denkens
Hegel - Wittgenstein - Derrida
Mein Habilitationsvorhaben widmet sich der formal-ästhetischen Verfaßtheit philosophischer Texte mit dem Ziel, deren sprachliche Selbstrefentialität und -reflexivität als ein zentrales Moment des in ihnen artikulierten Denkens herauszuarbeiten. Analysen, die in der Vergangenheit ein vergleichbares Ziel behaupteten, beschränkten sich zumeist darauf, die Literarizität bzw. Poetizität philosophischer Texte lediglich allgemein zu konstatieren, einzelne Sätze als ›literary gestures‹ auszuweisen, ihnen einen rhetorisch-bildhaften Stil zuzusprechen oder sich nur auf die in den Texten expliziten Äußerungen zu Kunst und Literatur zu konzentrieren und diese als Zeugen für den ›literarischen Charakter‹ derselben zu nehmen. Eine präzise philologische Analyse der Sprachlichkeit einzelner Texte, die diese Charakterisierung begründen bzw. untermauern würde, unterblieb hingegen weitestgehend.
Unter der ›Poetizität‹ philosophischer Texte verstehe ich demgegenüber nicht ein vernachlässigbares Ornament des Ausgesagten, das sich zugunsten eines vermeintlich abstrakt fassbaren Gehaltes bzw. einer eindeutigen propositionalen Aussage ausblenden ließe. Vielmehr beschreibt die selbstreferentielle und -reflexive Sprachlogik eines Textes die Form des in ihm vertretenen philosophischen Denkens und begründet so dessen Individualität und Singularität. Dies geht einher mit der generellen Zurückweisung einer jeglichen Vorstellung von philosophischer ›Metasprache‹, d.h. einer Kunstsprache, die sich zwar den Regeln und Gesetzen sowie der Semantik der Alltagssprache bedient, dieser jedoch selbst nicht unterworfen ist. Das ›Poetische‹ philosophischer Texte ist daher nicht als ein der Begriffssprache kontrastives Moment aufzufassen, sondern vielmehr als ein Sprechen, das die Bedingungen seiner selbst im Vollzug der Rede zugleich ›ausdrückt und darstellt‹ und die logische Form der Sprache, in der sich das Denken artikuliert, an sich selbst und als sie selbst reflektiert.
Anhand der Werke von Hegel, Wittgenstein und Derrida zielt mein Forschungsvorhaben darauf, die den Texten je eigene ›Poetik des Denkens‹ aufzuzeigen. Damit wird nicht nur die Möglichkeit einer klaren Grenzziehung zwischen Philosophie und Literatur problematisiert, sondern zugleich für die Notwendigkeit einer philologischen Lektürepraxis philosophischer Texte argumentiert. Überdies intendiere ich eine kritische Revision der sowohl von seiten der Literaturwissenschaft wie auch der Philosophie immer wieder in Anspruch genommenen Begriffe ›Selbstreflexion‹, ›Selbstreferenz‹, ›Selbstbezüglichkeit‹, ›Autoreferenz‹ und ›Autoindexikalität‹. Mein Anspruch ist es, für beide Fachbereiche eine differenziertere und entsprechend adäquatere Begrifflichkeit der damit bezeichneten Phänomene zu erarbeiten.
Die bereits geleisteten eigenen Vorarbeiten, die die Studie zu Hegel, Wittgensten und Derrida fundieren, lassen drei Hauptergebnisse des Projekts erwarten: Erstens kann anläßlich der Überlegungen zur Textologie der Philosophie ein allgemeines methodisches Vorgehen entwickelt werden, das den einzelnen Text aus sich heraus verstehen läßt und das nicht an die mitunter verstellenden Deutungsraster etablierter Auslegungen gebunden ist. Zweitens zeitigt eine solch induktive Lektüre-Methode, die sich radikal auf die individuelle Sprachlichkeit eines Textes einläßt, neue inhaltliche Erkenntnisse, die mit den Deutungsvorschlägen bestehender Traditionslinien brechen und somit ›sicher‹ und ›abgeschlossen‹ geglaubte Interpretationen neu zur Diskussion stellen. Drittens sensibilisiert eine solche auf den exakten Wortlaut ausgerichtete Lesart für die editionsphilologische Dimension der Texte, insofern Entwurfsmanuskripte, Vorstufen oder in ihrem Textbestand voneinander abweichende Drucke nicht länger als unterschiedliche ›Fassungen‹ eines vorausgesetzten ›Idealtextes‹ verstanden werden: Der Individualität des jeweiligen Textes - so zeigt die Untersuchung - entspricht eine je individuelle Aussage und ein je individueller Gedanke. Die Reflexion auf die ›Textualität‹ des Denkens führt somit auch zu einer grundsätzlichen Neubestimmung dessen, was unter einem (philosophischen) Text gedacht werden muß.